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Es folgt eine Tabelle der ersten E-Bewertungen aus der Zeit-schrift Boulder 2 von 1982 man sollte sich vielleicht anhand

der Tabelle und des originalen Textes von Hans Diefenbach etwas in der Zeit zurück ver-setzen können.


Vorschlag zur Einführung einer E-Bewertung bei Schwierigen Kletterrouten

  E-Wert
für die Ernsthaftigkeit und "seriousness" einer Route (Absich-erungsmöglichkeiten, Qualität der haken und Sicherungs- punkte, Brüchigkeit des Gesteins usw.)
 Alpen  Klettergärten
Anmerkung: Diese E-Bewertungen gelten für Routen ganz unterschiedlicher klettertechnischer Schwierigkeit (Fleischbankpfeiler 6, Gillkante 8+ bis 9); es wird dabei natürlich jeweils vorausgesetzt und impliziert, daß der Kletterer den Schwierigkeiten voll gewachsen ist!  E 0  alle "normal" und gut abgesicherten Alpen- und
 Klettergartenrouten
 E 1    Tamanrasset
 
(St.Victoire)
 E 2  Fleischbankpfeiler (Fleischbank)
 Morgenlandfahrt
(Schlüsselkarspitze)
 Schleimspur (Frankejura)
 Superlative (Elbsandstein)
 E 3  Mephisto (Heiligkreuzkofel)
 Via dell'Ideale
(Marmolada)
 Lineal (Elbsandstein)
 E 4  Supercrimson (Kalkkögel) E3-E4 
 Cozzolino
(Cima Scotoni) E3-E4
 Mittelpfeiler,
Zustand 1979! (Heiligkreuzkofel)
 Gillkante (Frankenjura)
 E 5  Abrakadabra (Marmolada)  Lohn der Angst
 
(Elbsandstein)

 

Vorschlag zur Einführung einer E-Bewertung

Daß unsere Schwierigkeitsbewertungen noch nicht hinreichend genau und differen-zierend genug sind, ist allgemein bekannt. Ein recht gravierender Nachteil unserer Schwierigkeitsskala ist sicherlich vor allem der, daß die Bewertungen nur die kletter- technischen Schwierigkeiten angeben, wo-hingegen die moratischen Anforderungen, die ja nun zweifellos ebenfalls eine wichtige bzw. entscheidende Rolle spielen, nicht berücksichtigt werden. Und dies führt dann natürlich zwangsläufig immer wieder zu dem bekannten Mißverhältnis, daß zwei Routen, die zwar dieselben klettertech-nischen Schwierigkeiten aufweisen, aber von der Ernsthaftigkeit und den Gesamt-anforderungen her keinesfalls miteinander verglichen werden können, auf dem Papier denselben Schwierigkeitsgrad zugewiesen bekommen. Eine Elbsandsteinroute steht dann neben einem Frankenjuraweg, obwohl sie nur von den klettertechnischen Schwie-rigkeiten, aber nicht von den moralischen und psychischen Anforderungen her mit diesem zu vergleichen ist, und eine freie und damit zumeist auch relativ gefährliche Marmoladaroute ist dem Papier nach gleich schwierig wie ein übernagelter Kaiserweg – alles irritierende, irreführende und letztlich auch gefährliche Gleichsetzungen, die dann häufig zu den nur allzu bekannten Fehlein-schätzungen mit ihren oft traurigen Folgen führen. Natürlich schafft die alpine Mundpro-paganda hier in den meisten Fällen schon eine entsprechende Aufklärung – daß die Marmolada- und Heiligkreuzkofelanstiege in der Regel erhebliche Mehranforderungen stellen, hat sich inzwischen wohl allgemein herumgesprochen. Warum aber eigentlich sollten diese Faktoren wie Ernsthaftigkeit, ”seriousness”, Absicherungsmöglichkeiten usw. nicht auch in einer Schwierigkeits-bewertung berücksichtigt werden und Eingang finden und zwar in der Weise, daß hier  eigene und spezifische Symbolwerte  geschaffen werden? Nicht gut wäre sicher-lich ein Zusammengehen und Zusammen-fließen von klettertechnischen und moral-ischen und sicherungstechnischen Schwier-igkeiten, wie das z.B. bei der französischen Buchstabenwertung der Fall ist; ähnliches gab es früher auch bei uns, als man freie und gefährliche Alpenrouten etwas höher einstufte als andere, die von der Kletterschwierigkeit her auf gleicher Stufe rangierten. Das einzig Sinnvolle und Richtige ist da zweifellos eine getrennte Wertung für die klettertechnischen Schwierigkeiten und für die moralischen Anforderungen und die ”seriousness” einer Route, wie das bei der englischen Frei-kletterbewertung der Fall ist, wo es neben den numerischen Werten, die die rein technischen Kletterschwierigkeiten ange-ben, eine Buchstabenwertung gibt, die die Sicherungsmögiichkeiten, die Brüchigkeit des Gesteins usw. kennzeichnet.

Ich möchte daher hier den Vorschlag ein- bringen, auch bei uns eine solche E-Skala (Eo bzw. E1 bis Ex) und E-Bewertung ein- zuführen, die die Sicherungsmöglichkeiten und die Absicherung, kurzum die ”Ernsthaftigkeit” einer Route angibt und kennzeichnet. Das Symbol und Kürzel ”E” empfiehlt sich deshalb, weil es diesen Begriff E (= ”Extreme”) bereits in England gibt (der Begriff bzw. seine Abkürzung ist also somit schon eingeführt und dürfte auch in den übrigen englischsprachigen Ländern und in Frankreich bereits bekannt sein; vgl. hierzu BOULDER 1/81, wo Jean-Claude Droyer in seinem Artikel über die Kletter-gebiete Frankreichs bereits eine E-Bewert-ung für die Freikletterrouten aufgestellt hat!) und weil zum zweiten das Kürzel ”E” überraschende Zufallsentsprechung und Korrelation! – bei uns eben für ”Ernsthaftigkeit” stehen könnte (und es ist ja immer von Vorteil, wenn eine solche Chiffre nicht nur ein gewissermaßen abstrakter Buchstabe ist, sondern für ein bestimmtes Wort steht – dadurch wird das Ganze zweifellos sehr viel eingängiger und sinnvoller!). Am Anfang und im unteren Bereich dieser E-Skala (E1 und E2) werden dann Routen bzw. Seillängen mit gutem 

Fels und relativ wenigen, aber guten Haken bzw. Zwischensicherungen zu finden sein, schwierige Routen also, bei denen weite Stürze möglich sind, die jedoch jeweils von zuverlässigen Sicherungspunkten aufge-fangen werden. Und am oberen Ende der Skala ständen dann natürlich Routen mit schlechten Haken und Sicherungspunkten respektive Routen ohne Sicherungs-möglichkeiten, die dann zudem auch noch brüchigen und unzuverlässigen Fels aufweisen – kurzum:  extrem gefährliche und schlecht abgesicherte bzw. schlecht abzusichernde Wege, bei denen Stürze auf je- den Fall schwerwiegende Folgen nach sich ziehen würden. Für alle ”normalen” und gut abgesicherten schweren Routen (hierzu würden dann beispielsweise alle Pause- und sonstigen Alpenmodetouren und die Mehrzahl der Freikletterrouten in unseren Mittelgebirgen gehören) könnte dabei die Bezeichnung Eo stehen; diese Bewertung Eo, mit der also die Mehrzahl aller Routen und Kletterwege einzustufen wäre, könnte dann natürlich auch stillschweigend wegfallen, d.h. es müßten eigentlich nur solche Routen ausdrücklich mit einem E-Wert gekennzeichnet werden, die nicht in diese genannte Kategorie hervorragend abgesicherter Anstiege fallen würden – alle nicht eigens bewerteten Routen wären dann eben a priori gut gesicherte Eo-Wege. Zu berücksichtigen wäre bei einer solchen E-Bewertung dann jeweils vielleicht auch, ob die Sicherungspunkte bereits vorhanden sind oder ob sie erst noch angebracht  werden müssen, von Bedeutung wäre weiterhin, ob die Stürze gefährlich bzw. u.U. lebensbedrohlich (Aufschlaggefahr!) sein können und nicht zuletzt wäre auch die Frage nach der Sicherheit der Standplätze in diesem Zusammenhang von einiger Wichtigkeit – all dies Details und Einzel-heiten, die man noch ausgiebig in Zukunft diskutieren müßte! Die Länge der Routen kann natürlich hierbei keine Rolle spielen bzw. Berücksichtigung finden, weil ansonsten Klettergarten- und Alpenrouten nicht mehr in ein gemeinsames Bewertungsschema passen würden; die E-Bewertung muß und sollte vielmehr ausschließlich und allein eine reine Seiilängenbewertung  sein – die Länge einer Route wird ja ohnehin jeweils angegeben und jeder weiß, was ihn bei einer 800 Meter-Route an der Marmolada erwartet (Sollte eine Alpenroute dabei gegebenen- falls mehrere oder viele solcher moralisch anspruchsvoller und gefährlicher Seillängen aufweisen, so darf dies den E-Wert nicht etwa erhöhen, sondern man sollte dann besser jeweils die Anzahl der Seillängen im Schwierigkeitsgrad Ex angeben!). Und  nicht  einzubeziehen wären natürlich auch solche alpinen Faktoren wie Steinschlaggefahr, Routenfindung, Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Rückzugsmöglichkeiten und Ausquerungsmöglichkeiten, Wetterexpo-niertheit etc.; zum einen spielen all diese Faktoren bei den Klettergartenwegen wiederum keine Rolle und zum andern wäre es viel zu kompliziert, eine solche komplexe Vielzahl von Faktoren und Gesichtspunkten in einem Bewertungsschema zu kombi-nieren und zu berücksichtigen – man kann all diese Faktoren ja ohne weiteres jeweils zusätzlich anführen und erwähnen, wie das bei den Routenbeschreibungen ohnehin üblich ist.

In der beigegebenen Tabelle haben wir – nach Rücksprache mit einigen kompetenten Alpenkletterern (Reinhard Schiestl, Heinz Mariacher, Luggi Rieser, Kurt Albert, Hans-Jörg Möschel, Stefan Beulke, Michael Wolf, Robert Purtscheller u.a.) – ein- mal eine Reihe von entsprechenden, psychisch und moralisch sehr anspruchsvollen Frei-kletterwegen aufgelistet und aufgeführt – diese Liste kann natürlich zunächst mal nichts anderes sein als eine erste grobe Übersicht, die den Rahmen absteckt und deutlich macht, wie eine solche E-Skala und -Bewertung aussehen könnte.

Hans Diefenbach  (1982 aus Boulder 2)

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