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Es folgt eine Erörterung zum af-Klettern aus der Zeitschrift Boulder 2 von 1982 man sollte sich anhand

    

des originalen Textes von Hans Diefenbach etwas in der Zeit zurück versetzen können.


Diskussionsthema Ethik und Spielformen des Sportkletterns

1.Das af-Klettern, eine im übrigen spezifisch deutsche Variante des Frei-kletterns (die es anderswo eigentlich nirgendwo gegeben hat!), verliert immer mehr an Bedeutung und wird kaum mehr praktiziert und wenn überhaupt nur mehr als vorläufiges Stadium einer Begehung angesehen und gewertet. Selbst im Elbsandstein, dem Ursprungsgebiet die-ses Kletterstils, wird das traditionelle af-Klettern heute schon weitgehend vom amerikanischen Stil der durchgehenden Begehung einer Seillänge verdrängt (s. den Beitrag von Bernd Arnold in diesem Heft!). Diese Feststellung gilt zunächst und in erster Linie für den Bereich der crags und Klettergärten mit einigen Abschwächungen allerdings auch bereits für den Alpenraum, wo die Tendenzen ebenfalls eindeutig zum Rotpunkt/ Rotkreisklettern gehen und wo af-Begehungen heute überwiegend auch nur mehr als vorläufige Leistungen angesehen werden.

2.Die aus dem fränkischen Kletterraum stammenden Unterscheid-ungen on sight,’ Rotpunkt / Rotkreis / Rotkreuz, die ich in meinem Artikel in BOULDER Nr.1 eriäutert und interpretiert habe, wurden inzwischen von den Sportkletterern allgemein ak-zeptiert und sind bereits als allgemein und überall gängige Termini in die Kletterpraxis übernommen worden. Damit gibt es nun endlich eine hinreichend differenzierte und differenzierende Terminologie für das Frei- und Sportklettern, klare und genau definierte Begriffe mit fest abgegrenzten Inhalten, unter denen sich jeder etwas vorstellen kann!

3.Diese Differenzierung on sight / Rot- punkt / Rotkreis usw. stammt, wie gesagt, aus dem Klettergarten und ist auch in erster Linie auf Klettergartenrouten und  verhältnisse zugeschnitten. Im Hochge-birge herrschen naturgemäß ganz andere Voraussetzungen und Bedingungen, es treten hier zahlreiche Negativfaktoren in Erscheinung, die sich ungünstig und hemmend auswirken (schlechte Haken; Witterung; über-hängender, brüchiger Fels; Länge der Routen und damit Ermüdung des Kletterers (u.U. langer und schwieriger Abstieg usw.)), und so lassen sich denn aufgrund der vielfach sehr viel ungüns-tigeren Verhältnisse und Bedingungen die einzelnen Spielformen des Freikletterns bei alpinen Routen nicht immer und ohne weiteres verwirklichen und übertragen. Die ganze Skala der alpinen Negativfaktoren, die vielfältigen Probleme und Schwie-rigkeiten, mit denen sich der ”alpine Freeclimber” konfrontiert werden ja von Marcus Lutz sehr anschaulich beschrieben und geschildert, und es wird hier sehr schön deutlich, daß es eben einen Unterschied zwischen Freiklettern im Hochgebirge und Freiklettern im Kletter-gartenbereich gibt! So wird sich bei Alpenrouten insbesondere ein ausge-dehntes jo-joing wegen der Qualität der Haken oder aus Witterungsgründen oftmals schon von selbst verbieten, und bei manchen stark überhängenden Dolomit-enwänden gravierender Nachteil immerhin, der einem freien Durchsteigen von schwierigen und trickreichen Kletterpas-sagen natürlich durchaus im Wege steht! Bliebe somit als Resümee festzuhalten:
Im Hochgebirge, wo also nicht die Idealbedingungen der Klettergärten bzw. klettergartenähnlicher Gebiete (Verdon, Handegg, Ueschenen, Sella usw.) gegeben sind, wo ungünstigere Bedingungen herrschen und sich viele

Negativfaktoren ungünstig auswirken, werden zunächst und bis auf weiteres auch die ”weniger wertvollen” Spielformen (af-Klettern oder gar partielles Ao- Klettern!) durchaus ihren Wert und ihre Gültigkeit behalten – wie das von Hanspeter Sigrist erwähnt und angedeutet wird, und erst bei steigendem Standard wird sich dann nach und nach auch hier die Anzahl der ”gültigen” Spielformen verringern! Bleibt noch zu erwähnen, daß es die Amis mit ihren Yosemite-Bigwalls auch hier mal wieder viel besser haben – die Seillängen können mit Keilen stets hervorragend abgesichert werden, die klimatischen Idealbedingungen erlauben langfristige Belagerungen, und nicht zuletzt sind die Granitwände Kaliforniens zumeist auch bei weitem nicht so steil und überhängend wie die Dolomitenmauern, wo sich eine jojo-Taktik eben vielfach a priori und von selbst verbietet! In den kalifornischen Bigwalls trifft man also im Grunde – sieht man einmal von der Routenlänge ab – die gleichen oder doch jedenfalls ähnliche Verhältnisse an wie bei den kürzeren free- climbs – ganz anders bei uns, wo es zwischen Alpen und Klettergarten eben entscheidende und prägende Unterschiede gibt, die sich dann auch auf die Spielformen und Spielarten des Kletterns auswirken! Ganz interessant ist schließlich und endlich, was unser Mitarbeiter Laurent Jacob über die Freikletterethik in Frankreich berichtet (vgl. hierzu auch die Anmerkung zu Beginn der Frankreich-Chronik!). Eine recht strenge Ethik immerhin, die nur noch on sight- und Rotpunktbegehungen anerkennt und zu läßt – ich denke und glaube aber, daß dies bei uns nicht Schule machen wird und auch nicht Schule machen sollte! Die jojo-Begehung, die von den Franzosen als ”bad style” abgelehnt wird, hat schließlich ganz sicherlich auch ihren Wert und ihre Berechtigung – eine Rotkreis-Begehung einer unbekannten Route in zwei oder drei Versuchen ist letztlich doch wohl sportlich wertvoller als die Rotpunkt-Durchsteigung eines hundertfach eingeübten und einstudierten Kletterweges, und eine solche Begehung sollte daher nun nicht einfach unter den Tisch fallen! Solange die Rotpunkt-Begehung ihren Wert und ihre Gültigkeit hat, muß und sollte man auch die Rotkreis-Durchsteigung werten und anerkennen. Und schließlich und endlich möge man daran denken, daß diese jojo-Praxis auch in den Staaten, dem Ursprungsraum neuzeitlichen Freikletterns, ”zählt” und anerkannt wird – und dort wird man sich fraglos auch Gedanken über den Wert und Unwert der verschiedenen ”Spielformen” gemacht haben! Es ist natürlich klar, daß dieser ganze Fragen- und Themenkreis mit dieser Diskussion nur angeschnitten werden konnte und nicht erschöpfend ausdiskutiert worden ist; wir werden bei gegebenem Anlaß wieder auf diesen wichtigen Fragen-komplex, auf die Problematik von Stilformen und Ethik des Sportkletterns zurückkommen. Wer uns seine eigene und private Meinung schreiben möchte, mag dies bitte tun – wir werden im übrigen in Zukunft in einer neuen Spalte ”BOULDER-Forum” Raum für solche theoretischen Diskussionen und Erörter-ungen schaffen.

Hans Diefenbach  (1982 aus Boulder 2)

 

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